August Kühn, alias Helmut Münch, am 25. September 1936 in München geboren, durchlief zahlreiche gewöhnliche und ungewöhnliche Stationen eines Arbeiterlebens: 1939 Exil in der Schweiz wegen der jüdischen Abstammung seines Vaters, 1945 Rückkehr nach München, Realschulabschluss und Lehre, nach einigen Jahren Berufstätigkeit Wechsel in eine Münchner Boulevardzeitung als Volontär, Auswanderung nach Israel, Rückkehr nach München, Lohnarbeit in einer Speiseeisfirma, Entlassung wegen seines Eintretens für die Betriebsratsgründung, weitere Anstellungen, schließlich Erwerbslosigkeit. Verheiratet und sechs Kinder.
Während der Erwerbslosigkeit beginnt er Bücher zu schreiben, nicht wenige über München und seine Geschichte. Er stirbt mit 59 Jahren am 9. Februar 1996 in Hinterwössen.
August Kühn bei Wikipedia.
"Wenn ich gefragt werde, wie und warum ich zum Schreiben gekommen sei, dann antworte ich: Aus Einsicht in die Notwendigkeit! Ein ganz einfacher Durchschnittsmensch bin ich -, und ist dies nicht Voraussetzung, für eine Mehrheit meiner Mitbürger im Land, das zu schreiben, was nötig ist?
Denn noch immer überwiegt hierzulande diejenige Literatur, die ihre Tradition in feudaler Vergangenheit hat und für einen privilegierten Leserkreis angemessen ist, nicht aber für ein demokratisches Gemeinwesen.
Mit meinen Texten, meinen Büchern versuche ich, den Lesern Anstöße zu geben für das Überdenken der eigenen Situation, der eigenen Geschichte und Tradition. Darum ist es mir darum zu tun, die Klarheit, die Präzision zurückzugeben, die das Deutsche in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend verloren hat -, ich schreibe ja nicht für mich und zu meiner Selbstverwirklichung, wie es zur hochgelobten Mode geworden ist, sondern für Leser.
Dementsprechend suche und finde ich meine Themen, meine „Stoffe" im alltäglichen Leben derjenigen, die zur Mehrheit der Bewohner meines Landes gehören, der Arbeiter und Angestellten, Jugendlichen und Hausfrauen und neuerdings, wegen meines Arbeitsquartiers im Chiemgau, auch der Bauern und Dorfhandwerker. (Die Senatoren, erfolgreichen Unternehmer, schließlich abgehalfterten Politiker haben längst ihre honorarverwöhnten Lohnschreiber gefunden!)
Bevor ich 1971 mein erstes Buch, „Westendgeschichten, Biographisches aus einem Münchner Arbeiterviertel" schrieb und veröffentlichte, hatte ich schon in einem optischen Werk in München Brillengläser geschliffen, danach entlassen, bei einer Boulevardzeitung als Volontär und Lokalreporter schon geschrieben. Nach einem Unfall in der Beweglichkeit eingeschränkt, somit „redaktionsunfähig", musste ich als Verwaltungsangestellter „unterschlüpfen".
Ende der sechziger Jahre wieder einmal arbeitslos geworden, machte ich das Schreiben schließlich zu meinem Beruf, nach den „Westendgeschichten" entstand der Betriebsroman „Eis am Stecken" (nun in Neuauflage beim Weltkreis-Verlag, Dortmund).
Es folgten die Familienchronik „Zeit zum Aufstehen" (1975 beim S. Fischer Verlag, 1978 fürs ZDF verfilmt), der Schelmenroman „Jahrgang 22" und dessen Fortsetzung „Fritz" Wachsmuths Wunderjahre", die politische Satire „Die Affären des Herrn Franz", der umfängliche historische Roman „Die Vorstadt".
Im vergangenen Jahr, 1984, erschien die Novelle „Wir kehren langsam zur Natur zurück" und das Tagebuch meines langen Marsches durch die Republik, „Deutschland, ein lauer Sommer". Einige meiner Bücher kann man in Übersetzungen in den USA und der UDSSR lesen. In meiner Heimat aber wird es zunehmend schwieriger, mit Literatur Gehör zu finden, weshalb ich 1984 ein Vierteljahr lang zu meinen Lesern unterwegs war, von Reit im Winkel bis Flensburg.
Häufig war ich in den vergangenen Jahren schon zu Lesungen in Schulen, Volkshochschulen, Gewerkschaftsseminaren und Buchhandlungen unterwegs, und gerne werde ich auch in Zukunft den Einladungen zu solchen Veranstaltungen folgen, um mit Lesern ins persönliche Gespräch zu kommen. Ist doch ein Schreiber, ein Autor bei seiner Arbeit am Schreibtisch sehr allein. Die Aussprache mit den Literaturinteressierten kann ihm wichtige Aufschlüsse darüber geben, was von ihm erwartet und verlangt wird, besser als das ein Verlagslektor je können wird." (August Kühn; aus: päd. extra. Magazin für Erziehung, Wissenschaft und Politik 4 vom 15. April 1985, 33)
Rainer Zwing bzw. August Kühn, geb. 1936, Mitglied der DKP, früher Angestellter jetzt Schriftsteller einer Reihe fortschrittlicher Bücher (wie z.B. Westendgeschichten, Eis am Stecken) gab uns ein Interview.
KJ: Wie bzw. wodurch bist du dazu gekommen Arbeiterliteratur zu schreiben?
Kühn: Arbeiterliteratur ist unsere Literatur, d.h. die der Werktätigen, deswegen schreib ich sie auch - im Gegensatz dazu, was sonst so geschrieben wird, um uns von einer heilen Welt zu erzählen. d.h. uns davon abzuhalten, etwas für die Verbesserung unserer Lage zu tun.
KJ: Dein neuestes Buch ist die Geschichte von vier Generationen Arbeiterfamilie. Du beschreibst ein Stück bayrischer Geschichte, wie sie nicht in unseren Geschichtsbüchern steht. Kannst du uns daraus was erzählen?
Kühn: Ja, ich kann Euch erzählen von der Pfennigblas'n und der Ankerjugend (die gab's in Sendling, Giesing, Neuhausen, Schwanthaler Höh') die deswegen so hieß, weil sie zwischen `35 und `45 immer einen Pfennig um den Hals trugen, und sich kurz vor der Musterung immer die Haut aufritzten, um sich damit eine Blutvergiftung zu holen, weil keiner Lust hatte, in den Krieg zu ziehen. Es gab damals „Anarcho-pazifistische" Gruppen aller Schattierungen, weil der KJVD schon lange verboten war, die FDJ erst 1936 in Paris bzw. 1940 in London, also im Exil gegründet wurde und keine proletarisch-revolutionäre Führung mehr vorhanden. Aber gegen den Krieg waren sie alle. Auch die, die am Vorabend des ersten Mai 1938 - damals unter den Nazis hieß das ja „Tag der Arbeit" - in die Falle der Gestapo gingen: Die hatte das Gerücht ausgestreut, dass die Hitlerjugend einen Appell übe (es war Tradition der Antifaschisten, diese zu stören), um sie dahin zu locken. Alle wurden verhaftet, achtzehn als Rädelsführer ins Wittelsbacher Palais zur „Sonderbehandlung" gesteckt, dann sofort zu besonderen Einsätzen - Himmelfahrtskommandos - in den Reichsarbeitsdienst gesteckt. In dem Buch ist auch die Rede von meiner Tante Amelie, die in der KPD war, aber aus Angst und Gründen der Tarnung in die faschistische Frauenorganisation gegangen war („Frauenschaft") Sie war beauftragt, im Westend, Gaststätte Ludwigsvorstadt, unter dem Motto „Kanonen statt Butter" ein Groß-Eintopfessen zu organisieren, dessen Erlös eben der Rüstung zugutekommen sollte. Tante Amalie wusste, dass im Westend niemand auf ein Nazi-Essen geht, und um den Faschisten eins auszuwischen, kochte sie brav für 700 Leute - 35 kamen.
KJ: Du selbst warst in der FDJ: Wie stark ward ihr im Westend, wie war die Situation vor und nach dem Verbot?
Kühn: Die FDJ gab es von 1947 (in der amerikanischen Besatzungszone) bis 1954; in der Schwanthaler Höh' waren wir ca. 50. Einmal wöchentlich gab es Schulung, im Sommer auch an den Wochenenden, wenn wir rausgefahren sind. Wir machten hauptsächlich unsre eigenen Jugendaktionen, waren aber auch 1951 dabei beim Ladenschlusskrieg, bei dem es darum ging, dass die Ladenschlusszeiten so sind, dass die Arbeiter nach der Arbeit auch noch was einkaufen können, übrigens der erste Einsatz von Wasserwerfern in München. Nach dem Internationalen Jugendtag gegen Remilitarisierung, auf dem auch Philipp Müller erschossen wurde, verbot man uns erst einmal in unsren blauen Hemden aufzutreten. Nach dem endgültigen Verbot war unser Treffpunkt versiegelt; viele sind zur SPD gegangen und haben den Weg nicht mehr rausgefunden. Von den älteren sind viele zur KPD gegangen, die drei Jahre später auch verboten wurde.
KJ: Du bist heute in der DKP. Was meinst du ist die wichtigste Aufgabe aller Demokraten?
Kühn: Ich war immer für die Einheitsfront und arbeite mit allen Leuten gegen rechts zusammen.